Ulrich Dreßler

50 Jahre Parlamentsvorsteher in der HGO - das unbekannte Jubiläum (HSGZ 2000  S.300) 

Dieser Aufsatz wurde in der HSGZ 2000 S. 300 veröffentlicht.

Die Fußnote 3 dieses Aufsatzes biete ich hier noch einmal in einer korrigierten und aktualisierten - insbesondere bebilderten - Fassung an.

 

Dabei geht es insbesondere um

  • die Bildung der Bundesländer Hessen und Rheinland-Pfalz,
  • die "Teilung" meines Heimatlands Nassau in diesem Zusammenhang und
  • der vergebliche Versuch, dies mit Volksbegehren und -abstimmung wieder rückgängig zu machen.
 

Im Sommer 1945 planten die  Amerikaner noch die Gründung  zweier eigenständiger Länder im Norden ihrer Besatzungszone:  Hessen-Nassau und Hessen (-Darmstadt). Das ist nach der geschichtlichen Entwicklung in diesem Raum durchaus nachzuvollziehen: Kein Mensch am Rhein in der Gegend um Wiesbaden wäre wohl auf die Idee gekommen, sich als "Hesse" zu bezeichnen.
Doch es kam anders: Am 19. September 1945 erließ der Oberste Befehlshaber der amerikanischen Streitkräfte in Europa, General Dwight D. Eisenhower, die Proklamation Nr. 2 an das deutsche Volk in der amerikanischen Zone, mit der die drei Staaten Groß-Hessen, Württemberg-Baden und Bayern gebildet wurden. "Groß-Hessen" hieß das neue Land, weil die Amerikaner von ihrem o. a.  ursprünglichen Plan wieder abgerückt waren.


Danach setzte sich "Groß-Hessen" zusammen aus dem Gebiet des Volkstaats Hessen (Hessen-Darmstadt) und der ehemaligen preußischen Provinz Hessen Nassau (Kurhessen und Nassau). Wichtige Teile von Nassau und Hessen-Darmstadt wurden jedoch der französischen Besatzungszone zugeschlagen; es handelte sich um das Kerngebiet des alten bis 1866 bestehenden  Herzogtums bzw. der späteren bis 1945 existierenden preußischen Prov. Nassau (die rechtsrheinischen Kreise Ober- und Unterwesterwald, Unterlahn und St. Goarshausen) und das linksrheinische Rheinhessen. Auf hessischer Seite wurden die Teilung Nassaus und die Abtrennung Rheinhessens von Anfang an nicht akzeptiert: schon im Staatsgrundgesetz des Staates Groß-Hessen v. 22.11.1945 hieß es, die vorgenannten Gebietsteile gehörten "zur Zeit nicht zu dem Staatsgebiet des Staates Groß-Hessen".


Der Name "Nassau" ging trotz der Entwicklung in der amerikanischen Besatzungszone
nicht gleich im ersten Nachkriegsjahr unter. Die Namen der von der französischen Militärregierung gebildeten Oberpräsidien lauteten nämlich auf „Rheinland-Hessen-Nassau“ (mit Sitz in Koblenz) und „Hessen-Pfalz“ (mit Sitz in Neustadt).  Die abgetrennten Gebiete wurden in der Verordnung Nr. 57 des Chefs der französischen Besatzungstruppen, des Generals Pierre Koenig, vom 30.8.1946, mit der „ein neues Land (Rheinland-Pfalz) geschaffen wurde“, ausdrücklich als Regierungsbezirke Montabaur und Mainz ausgewiesen.


Hessen
- der Name "Groß-Hessen" wurde nach der Annahme der Landesverfassung durch das Volk im Dezember 1946 entsprechend vereinfacht - erhob
in der Folgezeit insbesondere in der Regierungszeit von Ministerpräsident Georg-August Zinn (1951 bis 1969) - mit seinem bekannten Sonderreferenten Otto Georg - stets den politischen Anspruch auf Rückführung der abgetrennten Territorien. 

 


Nach Abschluss der Pariser Verträge im Mai 1955 und der Aufhebung der Suspendierung des Grundgesetzes durch die westlichen Besatzungsmächte wurden vom 9. bis zum 22.4.1956  in diesen Gebieten auf der Grundlage des Art. 29 Abs. 2 GG Volksbegehren durchgeführt. In Nassau und Rheinhessen sprachen sich 25,3 % und 20,2 % der Stimmberechtigten durch eigenhändige Unterschrift für eine Angliederung an Hessen aus (vgl. Evers, Bonner Kommentar, Art. 29 Rn 10); nötig waren 10% der Stimmberechtigten. In der BRD wurden 1956 insgesamt 6 erfolgreiche Volksbegehren durchgeführt (außer den beiden genannten noch in Koblenz/Trier, wo es um den Anschluss an Nordrhein-Westfalen ging, in Baden, Oldenburg und Schaumburg/Lippe. (Im "Kunstgebilde" Rheinland-Pfalz hatten die Neugliederungs-Befürworter also lediglich im Regierungsbezirk Pfalz einen Misserfolg zu vermelden, wobei die Stimmberechtigten dort sowohl für die Angliederung an Bayern als auch an Baden-Württemberg unterschreiben konnten.)

 


In keinem Gebiet war der Anteil der Neugliederungsbefürworter allerdings höher als im rheinland-pfälzischen Teil Nassaus, dem damaligen Regierungsbezirk Montabaur (heute: Rhein-Lahn-Kreis und Westerwaldkreis).
Der Ende des Jahres 1955 gegründete „Heimatbund Hessen Nassau“ – maßgeblich geführt von dem bekannten Kalkwerksbesitzer Wilhelm Schäfer (F.D.P.) aus Diez – hatte immer wieder das Zusammengehörigkeitsgefühl der nassauischen Bevölkerung betont und die Parole ausgegeben: „Die Beseitigung dieser staatlichen Fehlkonstruktion ist für jeden anständigen und denkfähigen Nassauer eine Herzensangelegenheit!“ Das von dem „Bund Rheinland-Pfalz“, den die rheinland-pfälzische Landesregierung auf Landesebene ins Leben gerufen hatte, dagegen gestellte Motto: „Nassauer sind keine Hessen, beteiligen sich also am Volksbegehren nicht und bleiben zu Hause!“ hatte nicht die erhoffte Durchschlagskraft. Der Erfolg des Volksbegehrens war um so beachtlicher als der Heimatbund von der regionalen Presse boykottiert wurde, allerlei staatlicher Repressalien ausgesetzt war und viele Bürger ein offenes Bekenntnis gegen das Bundesland Rheinland-Pfalz nicht wagten. Die rheinland-pfälzische SPD tat im April 1956 sogar ihre Überzeugung kund, dass bei einer geheimen (und nicht namentlichen, also öffentlichen) Stimmabgabe eine Mehrheit der Bürger einer Neugliederung des Landes Rheinland-Pfalz zugestimmt hätten.

 
 


Der Bund zeigte in der Folgezeit allerdings keine Eile bei der Ansetzung der dadurch notwendigen Volksentscheide. Das Land Hessen reichte daraufhin eine Organklage ein, die vom Bundesverfassungsgericht zwar am 11.7.1961 als unzulässig abgewiesen wurde (
sog. „Hessenurteil“); jedoch stellte das Bundesverfassungsgericht obiter die Verpflichtung des Bundes fest, die Gebietsbevölkerung nunmehr über ihre Landeszugehörigkeit entscheiden zu lassen, und zwar unabhängig von der Frage der Wiedervereinigung und der Eingliederung des Saarlands (vgl. BVerfGE 13, 54, 97). Doch bis zur endgültigen Durchführung des Volksentscheids sollten noch weitere 14 (!) Jahre ins Land ziehen. Zwischenzeitlich legte eine vom Bundesinnenministerium eingesetzte Sachverständigenkommission („Ernst-Kommission“) im November 1972 ihren Bericht vor, in dem sie empfahl, das Bundesgebiet neu in 5 oder 6 strukturell homogene, finanzwirtschaftlich gleich starke und jeweils etwa 10 Millionen Einwohner umfassende Länder aufzuteilen. Danach sollte im südlichen Bundesgebiet die Zahl der Bundesländer von bisher vier auf zwei reduziert werden. Obwohl Art. 29 Abs. 1 GG damals noch lautete „Das Bundesgebiet...ist neu zu gliedern“ und obwohl der Ernst-Bericht sorgfältig abgesichert war, ausgewogen argumentierte und die grundsätzliche Zustimmung der Bundesregierung fand, kam es nie zu einem umsetzenden Gesetzentwurf.


Vielmehr
setzte der Bundesinnenminister (endlich) am 11.11.1974 den Tag der Volksabstimmung fest, und zwar bereits auf den 19.1.1975! Im rheinland-pfälzischen Teil Nassaus fanden sich zwar vergleichsweise noch viele Befürworter einer Länderneugliederung, aber auch hier wurde die Mehrheit der Stimmen (und auch das notwendige Quorum von 25 % der Stimmberechtigten) nicht erreicht (vgl.  Bundesanzeiger 1975, Nr.  34 S.1 f). Das Ergebnis konnte angesichts der Umstände niemanden überraschen. Auf rheinland-pfälzischer Seite wird die Bundesregierung noch heute dafür gelobt, dass sie die Umsetzung des Volksbegehrens durch geschicktes Taktieren so lange verzögert hat. Eine gegen die Gültigkeit des Volksentscheids eingelegte Verfassungsbeschwerde (wegen des überstürzt angesetzten Termins, noch dazu im Winter, des exorbitanten Mitteleinsatzes der rheinland-pfälzischen Landesregierung für ihre Öffentlichkeitsarbeit, der einseitigen Berichterstattung in den Tageszeitungen des Mittelrhein-Verlags in Koblenz und der Verweigerungshaltung des Südwestfunks) wurde vom Bundesverfassungsgericht am 24.3.1976 als unbegründet verworfen (vgl. BVerfGE 42, 53 ff.).

 
 


Übrigens: Erfolgreiche Volksentscheide zur Länderneugliederung gab es 1975 durchaus, nämlich im Verwaltungsbezirk Oldenburg und im Landkreis Schaumburg-Lippe. Der Bundestag war jedoch an diese Volksentscheide nach der Fassung des Art. 29 GG 1969 nicht zwingend gebunden und beschloss zur Vermeidung von Nachteilen für die Gebietsstruktur den Verbleib dieser Gebiete beim Bundesland Niedersachsen.

 
 


Umgekehrt blieben allerdings auch "Abwanderungs-Bestrebungen" von südhessischen Gemeinden nach Baden-Württemberg erfolglos;
das Bundesinnenministerium lehnte hier schon den Antrag auf Durchführung eines Volksbegehrens mangels Vorliegens einer ehemaligen Provinz ab (vgl. BVerfG, Urt. v. 30.5.1956 in  BVerfGE 5, 56 ff.).

 

© Ulrich Dressler, 28.06.2015