Das Buch „Direkte Demokratie in den deutschen Ländern“ ist ein Gemeinschaftswerk mehrerer Zentralen für politische Bildung. Es ist im April 2005 im Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) erschienen und kostet im Buchhandel 19,90 Euro. Es ist seit Juni 2005 aber auch (zumindest) über die Landeszentrale für Politische Bildung Nordrhein-Westfalen erhältlich.

Die Krise der Parteiendemokratie in Deutschland – mittlerweile mehr als ein geflügeltes Wort. Ihre Existenz lässt sich nicht (länger) leugnen, die Bestandsaufnahme ist eindeutig. Jedoch: die Politik scheint unfähig, die Lähmung unseres politischen Systems zu heilen, und ihr scheint gar nicht bewusst zu sein, wie fatal die Signalwirkung auf die Bevölkerung ist, die z. B. vom Scheitern der Verfassungsreform auf Bundesebene im Dezember 2004 (Föderalismuskommission) ausgeht. Jüngst war in einer Veröffentlichung zu lesen, Politiker hätten in ihrem genetischen Code ein „Macht-Gen“, das, wenn es um ihre berufliche Existenz gehe, alle anderen Erwägungen zurücktreten lasse (von Arnim, „Die Mär vom Landtagsmandat als Fulltimejob“, in ZRP 2005 S. 78). Wenn aber die Berufspolitiker tatsächlich nicht in der Lage sein sollten, z. B. die Zahl der Bundesländer und die Zahl der Abgeordnetenmandate zu verringern, braucht dann unser demokratischer Staat zu seiner eigenen Sicherung Entwicklungsanstöße unmittelbar durch das Volk?  

Die Vorbehalte gegen jedwede Form der Mitbestimmung des Volkes auf Bundesebene sind enorm. Die Absage der Parteien an eine Volksabstimmung in Deutschland über die Europäische Verfassung hat es wieder einmal gezeigt. Das Misstrauen gegenüber dem Volk ist in Deutschland ganz besonders ausgeprägt (und dürfte durch den Ausgang der Referenden zur Europäischen Verfassung in Frankreich und den Niederlanden Ende Mai 2005 noch größer geworden sein). So hat man in Deutschland noch nicht einmal den Mut gehabt, dem Volk eine bundeseinheitliche Verfassung vorzulegen, über die es „in freier Entscheidung beschließen“ kann, und begnügt sich stattdessen weiter mit dem Grundgesetz, dass von seinen Müttern und Vätern ausdrücklich nur als „Übergangslösung“ bis zur Wiedervereinigung konzipiert war (Art. 146 GG). Auch die Hauptstadtfrage hat man lieber ohne das Volk durch Mehrheitsentscheidung im Bundestag geklärt („Koalition der alten Männer mit der PDS“). Und da wundern sich manche Politiker über zu wenig „gelebte Liebe zum Vaterland“! 

Höchste Zeit also für eine Bestandsaufnahme zur Direkten Demokratie in den deutschen Ländern und ihren Gemeinden. Als Reaktion auf das wachsende politische Selbstbewusstsein der Bürger gibt es mittlerweile in zahlreichen Bundesländern unmittelbare Partizipationsrechte der Bürger. Andreas Kost liefert jetzt mit der Neuerscheinung „Direkte Demokratie in den deutschen Ländern“ erstmals eine umfassende Gesamtübersicht dazu. Das Buch bietet die erste systematische Darstellung direktdemokratischer Beteiligungsverfahren in allen 16 Bundesländern durch „einheimische“ Experten. Anknüpfend an die 16 Länderbeiträge fasst Ottmar Jung in einem Überblicksartikel Grundsatzfragen direkter Demokratie zusammen. Übersichten über die rechtlichen Rahmenbedingungen von Volksentscheid/Volksbegehren sowie Bürgerentscheid/Bürgerbegehren verdeutlichen die Unterschiede zwischen den Bundesländern. Ein abschließendes Glossar erleichtert das Verständnis der einschlägigen Fachbegriffe. 

Lesen Sie hier das Inhaltsverzeichnis (über deutschesfachbuch.de)
Informieren Sie sich über die beteiligten Autoren (über deutschesfachbuch.de)

Lesen Sie hier die Einleitung von Andreas Kost
(über deutschesfachbuch.de)

Thorsten Sterk von „Mehr Demokratie“ hat unmittelbar nach Veröffentlichung des Buches eine sehr interessante Rezension geschrieben.

Für Nordrhein-Westfalen kommt Andreas Kost in dem entsprechenden Kapitel zu dem Schluss, dass die Anwendung und Einführung verschiedener Partizipationsinstrumente die politische Szene durchaus belebt hat. "Insgesamt wurden direktdemokratische Partizipationsinstrumente in Ländern und Kommunen sehr dosiert angewendet. Hin und wieder erinnert diese Form der unmittelbaren Bürgerbeteiligung die politischen Verantwortlichen jedoch daran, dass auch ihre Handlungssouveränität inhaltlich und zeitlich begrenzt ist. Der Bürger hat eine neue Einflussmöglichkeit gegen eventuelle Uneinsichtigkeit und Ignoranz gewonnen."
Allerdings konnte sich durch die eingebauten institutionellen Hürden kein wirklich starkes Gegengewicht zum Landtag oder den kommunalen Vertretungen bilden. Eine systematische Machtkontrolle durch den Bürger ist bislang nicht möglich. Wenn die politisch Verantwortlichen hier zusätzliche Handlungsspielräume eröffnen würden, was sich andeutet, sieht Kost die Chance auf eine vermehrte bürgerschaftliche Mitarbeit. Das verloren gegangene Vertrauen in die Politik könnte so zurück gewonnen werden.


Die
Die Kluft zwischen Gewählten und Wählern ist neuerdings - was die Landesparlamentarier in Hamburg und vor allem die Bundesparlamentarier im Bundestag angeht - etwas kleiner geworden. Besuchen sie die virtuelle - öffentlich einsehbare - Sprechstunde dieser Abgeordneten unter www.abgeordnetenwatch.de. Dort werden auch die Ausschussmitgliedschaften sowie das Stimmverhalten der Mandatsträger dokumentiert.

 

 

 

In dem Buch „Direkte Demokratie in den deutschen Ländern“ zeichne ich für den Beitrag „Direkte Demokratie in Hessen“ (S. 133 bis S. 147) verantwortlich.

Weil das Buch mittlerweile zumindest bei der HLZ vergriffen ist, biete ich hier meinen Beitrag "Direkte Demokratie in Hessen" zum freien Download an.  

Ich habe meiner Darstellung folgende Gliederung vorangestellt: 

1.       Einleitung und historische Entwicklung

2.       Direkte Demokratie auf der Ebene des Landes

2.1         ... im Zusammenhang mit der Hessischen Verfassung

2.2         ... im Zusammenhang mit (einfachen) Gesetzes

3.   Direkte Demokratie auf der Ebene der Gemeinden

4.   Literatur und Internethinweise. 

Hauptergebnis meiner Untersuchung ist, dass Hessen auf der Gemeinde-Ebene mit dem Bürgerentscheid durchaus vorn, dagegen auf der Landesebene mit dem Volksentscheid ganz weit hinten ist. Dementsprechend hat Hessen im dritten „Demokratie-Vergleich“ der deutschen Länder (Volksentscheidsranking) des Vereins Mehr Demokratie e. V. aus dem Jahr 2010 für die Ausgestaltung der direkten Demokratie auf der staatlichen Ebene ein „Mangelhaft“ erhalten. Wie kommt es, dass Hessen im Ländervergleich - ganz im Gegensatz zu seinem herkömmlichen eigenen Anspruch („Hessen vorn“) - so weit „hinten ist“? Während der Landtag in den Gemeinden 1993 mit der Einführung des 8b HGO die Entwicklung vom Bürgerbegehren zur Bürgergesellschaft eingeleitet hat, gaukeln Art. 123 HVerf. und Art. 124 HVerf. wegen des Ausschlusses des Volksbegehrens für Änderungen der Verfassung selbst und des schier unüberwindlichen 20% Unterschriftenquorums für ein erfolgreiches Volksbegehren eine Mitbestimmung des Volkes in Sachfragen der Landespolitik nur vor.

Zur Verdeutlichung: 20%, das sind rund 878.000 (stimmberechtigte) Bürgerinnen und Bürger – wie schwer es ist, so viele Menschen für eine politische Idee zu begeistern, lässt sich ermessen, wenn man sich vergegenwärtigt, wieviele (Zweit-)Stimmen die Parteien bei den hessischen Landtagswahlen erringen. Bei der letzten Landtagswahl im September 2013 hat die SPD als zweitstärkste Fraktion im Landtag z. B. gerade einmal rd. 962.000 Stimmen erhalten! Auch die  CDU als stärkste Fraktion hat gerade einmal 1,2 Million Stimmen errungen!

Aber dieses Quorum hat in der Praxis bisher kaum eine Rolle gespielt, denn denn der Hessische Landtag hat einfachgesetzlich noch eine weitere Hürde aufgestellt, an der die meisten Initiativen schon scheitern, die Zulassungshürde. Nach dem hessischen
Gesetz über Volksbegehren und Volksentscheid muss ein Volksbegehren erst einmal von der Landesregierung zugelassen werden, bevor es an den Start gehen kann. Und dafür müssen erst einmal die Unterschriften; von 3%, seit 2011 von 2% der abstimmungsberechtigten Hessinnen und Hessen eingesammelt werden. Schon an diesem Zulassungsquorum sind fast alle Initiativen gescheitert, z.B.  im Jahr 1992 die FDP-Initiative "Kumulieren und Panaschieren" (vgl. Bekanntmachung des Landeswahlleiters v. 17.9.1992 in StAnz. S. 2558); es kam erst gar nicht zur Abgabe der eingesammelten Unterschriften; das Kumulieren und Panaschieren bei der Wahl der Kommunalparlamente wurde dann 1999 nach dem Regierungswechsel von Rot/Grün zu Schwarz/Gelb eingeführt. Zur Abgabe der eingesammelten Unterschriften zwecks Zulassung des Volksbegehrens ist es in der Geschichte des Landes Hessen erst drei Mal gekommen. Außer in den beiden unten dargestellten Fällen aus den Jahren 1966 und 1981 noch im Jahr 1997; es ging um die Initiative der Evangelischen Kirche zur Rettung des Buß- und Bettages als Feiertag. Die abgegebenen Stimmen reichten nicht aus  (vgl. Bekanntmachung des Landeswahlleiters v. 27.8.1998 in StAnz. 1998 S. 2198).

Genug Stimmen zur Überwindung des Zulassungsquorums wurden in der Geschichte des Landes Hessen erst zwei Mal abgegeben:

Einen Volksentscheid hat es nach alledem in Hessen noch nie gegeben!

Bei Beibehaltung des gegenwärtigen Rechts wird es nach menschlichem Ermessen auch nie dazu kommen, dass das Volk in Hessen ein (neues) Landesgesetz beschließt oder ein (bestehendes) Landesgesetz ändert bzw. aufhebt.

Insbesondere das 20%-Quorum ist unüberwindbar. Der höchste Beteiligungswert für ein Volksbegehren, das anschließend zum Volksentscheid führte, betrug 18,4%, und das in dem Stadtstaat Hamburg (1998 „Reform der Volksgesetzgebung“). In Bayern reichten dagegen für ein erfolgreiches Volksbegehren beispielsweise  im Jahr 2010 die Unterschriften von 13,9% gegen das (gelockerte) Nichtraucherschutzgesetz und im Jahr 2013 von 14,4% gegen das Universitätsgebühren-Gesetz aus.
 

Über die "Direkte Demokratie in Hessen" habe ich bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion am 23.2.2006
in den Räumen der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung in Wiesbaden

mit dem Journalisten Bernd Heptner von der FAZ diskutiert
.

Die Veranstaltung fand statt in der Reihe "Literatur und Politik",
in der die HLZ dem interessierten Publikum nach dem
Arbeitsalltag in ungezwungener Atmosphäre
aktuelle Neuerscheinungen samt den verantwortlich zeichnenden  Autoren vorstellt.

 

 

 

Über die nach der Veröffentlichung des Buches seit 2005 - bisher vergeblich - unternommenen Versuche  zur Reform der Hessischen Verfassung können Sie sich ebenfalls hier bei mir informieren:

  1.  Über die Versuche in den Jahren 2005-2008, also in der restlichen 16. Wahlperiode (bis zum 4. April 2008) und in der auf Grund der "Hessischen Verhältnisse" nur sehr kurzen 17. Legislaturperiode (5. April 2008 bis 19. November 2008) habe ich in meinem Aufsatz "Direkte Demokratie auf der staatlichen Ebene" vom September 2008 geschrieben. Als Ergänzung gibt es auf dieser Seite unten Links zu den maßgeblichen Quellen.
     

  2. Über die jüngste Entwicklung seit 2009, also seit dem Beginn der 18. Legislaturperiode des Hessischen Landtags, berichte ich exklusiv hier auf dieser Homepage weiter unten ( >)

 

Zunächst zu Nr.1: für diejenigen, die sich in Ergänzung zu meinem o. a. Aufsatz näher für die Entwicklung von 2005 bis 2008 interessieren, hier einige weiterführende Links:

16. Legislaturperiode des Hessischen Landtags (5.4.2003 – 4.4.2008):

"Soll die hessische Landesverfassung die hessische Verfassungswirklichkeit wiedergeben, so muss sie bearbeitet werden. Sie ist es wert! Eine Verfassungsreform sollte nicht weiter aufgeschoben werden!"

"Unsere freiheitliche Bürgergesellschaft lebt davon, dass die Bürger viel mehr tun, als zur Wahl zu gehen... Freilich setzt politische Anteilnahme am Gemeinwesen auch gute Teilhabe- und Einflussmöglichkeiten voraus. Diese Voraussetzung halten viele Bürger für nicht mehr gegeben. Sie empfinden Partei- und Politikverdrossenheit und wenden sich ab, weil "die da oben" ja doch machten, was sie wollen. Darum halte ich es für wichtig bei Verfassungsreformen immer auch zu bedenken, wie die Bürgernähe der Politik und die politische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger gestärkt werden können."

CDU und FDP wehrten sich in den Plenardebatten vehement gegen die vorgeschlagene isolierte Änderung des Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid ohne gleichzeitige Verfassungsänderung:


 17. Legislaturperiode des Hessischen Landtags (5.4.2008 – 19.11.2008):

 

Sodann zu Nr. 2, also zur Entwicklung ab 2009 bis heute:


In der 18. Legislaturperiode (18.1.2009 – 17.1.2014) beschäftigte das Thema "Unmittelbare Beteiligung des Volkes an Sachentscheidungen auf Landesebene" das Landesparlament (natürlich) erneut:

 

In der 19. Wahlperiode des Hessischen Landtags (18.1.2014 - 17.1.2019) war es nach dem Einstieg der Grünen in die Regierungsverantwortung in Anbetracht der zahlreichen Bemühungen in der jüngeren Vergangenheit klar, dass es wieder einen ernsthaften neuen Versuch zur Reform der Hessischen Verfassung geben würde. In die Koalitionsvereinbarung der ersten schwarz/grünen Regierungskoalition in einem deutschen Flächenland wurden dazu am 23.12.2013 ausdrücklich die vier folgenden klaren Festlegungen aufgenommen (S. 41):

1. Verankerung des Staatsziels Ehrenamt (neu)
2. Abschaffung der Todesstrafe (Art. 21)

3. Erleichterungen bei den Voraussetzungen und Rahmenbedingungen von
Volksbegehren und Volksentscheiden (Art. 124)

4. Herabsetzung des passiven Wahlalters (Art. 75).“

Bis zur Änderung der Hessischen Verfassung und anschließend des Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid bleibt das Fazit der Initiative "HessenNeuVerfasst", die Hessen als „Demokratie-Schlusslicht“ in Deutschland bezeichnet, in Anbetracht der hessischen Mini-Reform vom Februar 2011 aktuell. Im Volksentscheids-Ranking von Mehr Demokratie e. v. hat Hessen im Jahr 2016 für die Bürgerbeteiligung auf Landesebene zum wiederholten Mal die Note „Mangelhaft“ erhalten. Nach der Reform in Baden-Württemberg Ende des Jahres 2015 ist das Volk danach nur im Saarland gegenwärtig noch weiter von einer echten Bürgermitwirkung entfernt. Denn in Hessen hatten die Bürgerinnen und Bürger in den ersten sieben Jahrzehnten – die Hessische Verfassung hatte am 1. Dezember 2016 ihren 70. Geburtstag - in der Tat keine realistische Chance, einen Volksentscheid zu initiieren. Die Ausübung der Landesgesetzgebung durch das Volk im Wege des Volksentscheids (Art. 116 Abs. 1 Buchst. a HVerf.) wird ohne Anpassung der Landesverfassung an die gesellschaftliche Realität graue Theorie bleiben.

 

 

© Ulrich Dressler, 19.12.2017